Dienstag, 7. Oktober 2014

[ # vorarlberg ] Schwarzgrünes Vorarlberg-Programm: Alles schwarz oder was?

Täuschung oder Enttäuschung: Das Schwarzgrüne Vorarlberger Regierungsprogramm 2014-19

Eben wurde das "Arbeitsprogramm" der neuen Vorarlberger Landesregierung (ÖVP-Grüne) öffentlich. Auch wenn man anerkennen will, dass ein solches Regierungsprogramm immer vom Willen zum Kompromiss getragen sein muss und ein kleiner Koalitionspartner halt eben auch nur so viel Veränderung einbringen kann, als es die Wählerstimmenstärke erlaubt, ist man vorerst enttäuscht.

Nicht umsonst hat der kritische liberale Philosoph Karl Popper das Verhältniswahlrecht als wenig demokratisch kritisiert, weil - etwas salopp gesagt - einerseits koalitionsnotwendige kleinere Parteien über ihr Wahlergebnis hinaus nicht demokratisch legitimierten Einfluss generieren können oder abgewählte Parteien sich mit dem Koalitionspoker immer an Macht und Trog und Tropf halten können.

Enttäuschung. Das vorliegende Arbeitsprogramm ist eine Enttäuschung wie auch eine Täuschung. Die einzige Änderung ist die Zusammensetzung der Regierung und damit man einen ausscheidenden Landesrat weiterbeschäftigen konnte, musste die Landtagspräsidentin für diesen ihr Büro räumen. Geradezu klassische Vorarlberger Frauenpolitik. Klassisch auch die Gewaltenteilung: die Regierungs- und Koalitionsbedürfnisse stehen über denen des Parlaments.

Die Täuschung. Das Programm ist eine einzige ÖVP-Wahlbroschüre voller Phrasen und Leerformeln. Die grünen Mäntelchen wie  Nein zur Atomkraft, Nein zum Fracking, Nein zur Gentechnik sind fett gedruckt. Das mag ja schön sein: Nur Atomkraft ist in Österreich schon über 35 Jahre kein Thema mehr, Fracking ist in Vorarlberg mangels Lagerstätten erst gar nicht Thema und dann bleibt die Gentechnik. Da hat das Land nichts zu tun, denn das österreichische Gentechnikgesetz 1994 regelt in Österreich die Zulassung für die Durchführung von Freisetzungsversuchen (Versuche im Freiland mit gentechnisch veränderten Organismen - GVOs) und für das Inverkehrbringen von GVOs. Das Bundesministerium für Gesundheit ist die zuständige Gentechnikbehörde! Vorarlberg hat die Gentechnikregelungen als einziges komischerweise im Naturschutzrecht. Zudem ist Österreich europaweit Speerspitze bei Produktion, Kontrolle und Kennzeichnung ohne Gentechnik hergestellter Lebensmittel.

Hier ist also  alles beim Alten. Ansonsten werden auch kaum relevante Änderungen angestrebt. In dem Arbeitsprogramm wird ununterbrochen festgestellt, dass alles fortgeführt, allenfalls verbessert oder intensiviert wird. Das Programm ist weniger ein Arbeitsprogramm denn ein Besänftigungsprogramm für die Grüngegner in Wallners ÖVP. Es wird versichert, das das ÖVP-Klientel weiterhin bevorzugt bedient wird. Es wird garantiert, dass die Gelder und Subventionen weiterhin in die gleichen Kanäle, fern von der Masse der Steuerzahler fließen. Manche Teile des Sicherheitsteils könnten auch von der FPÖ abgeschriebene Leerformeln sein bis hin zu xenophoben Einsprengseln.

Einzig im Bildungs- und Kinderbetreuungsbereich ist man zu ein paar Zugeständnissen bereit. Die derzeitige Rote-Laterne-Position Vorarlbergs in Sachen Bildung, Kinderbetreuung und Frauen wäre aber ohnedies nicht mehr gegen Wirtschaft und Industrie haltbar gewesen. Immerhin bekennt man sich zur Inklusion. Dafür müssten aber erst Taten folgen und nicht die Erklärung, dass man kein zusätzliches sonderpädagogisches Zentrum mehr bauen will. Niemand fordert ein solches, niemand denkt daran noch mehr Kinder von Ausbildung und Zukunft fern zu halten..

Grüne Handschrift. Die grüne Handschrift ist das was man in den Sozialwissenschaften "dynamisch-konservative Haltung" (D.Schon: Die lernende Gesellschaft, 1971) nennt. Wenn man die gesellschaftlichen Veränderungen (nicht allein die parteipolitischen) nicht mehr verhindern kann, dann übernimmt man die Rhetorik der Veränderung. Das ist der dynamische Teil. Der konservative daran ist, dass man nur die Türschilder ausgewechselt, das Türschild wird dem Vokabular der Veränderung entnommen. Es ist die geringstmögliche Anpassung an die neue Situation.

Vom Nutzen des Lesens. Es wäre aber falsch das Programm einfach als Propaganda und Trash abzutun. Für den politischen Beobacher wie auch für den politisch Handelnden ist das Programm eine Dokumentation über den Zustand der regierenden Parteien und wohl auch der Opposition, wie vielleicht überhaupt der lokalen Gesellschaft und ihrer politischen Eliten. Da kann sich jeder selber ein Bild machen.

Dem interessierteren Leser wird augenblicklich spürbar, wie ernst oder unernst solche Programme sind, welche Methoden des Tarnen und Täuschens angewendet werden um möglicherweise divergierende Ansichten als Gemeinsamkeiten erscheinen zu lassen. Es zeigt sich, wie die durch das Wahlergebnisse zur Veränderung gezwungene ÖVP mit Sprache und Wortfetzen den alten Zustand aufrecht zu erhalten bemüht ist, wie sie divergierende innerparteiliche Strömungen beruhigen muss.

Zukunft. Da haben es die Grünen etwas leichter. Dass ihnen von den bei der Regierungsbildung nicht zum Zug gekommenen politischen Mitbewerbern Verrat an ihren Grundsätzen vorgeworfen wird, das kann ihnen gleichgültig sein. Diese hätten deren Ideologien ja ohnedies nicht angestrebt, meist sogar abgelehnt. Das Parteivolk selber ist noch im Siegestaumel und freut sich über die dazugewonnene gesellschaftliche Anerkennung als Mitregierer. Man ist nicht mehr ein Niemand und ewige Opposition. Für die Grünen wird alles von ihrer Arbeit in den fünf Jahren abhängen, ob sie den kleinen Spielraum mit alternativen, originären Projekten, mit Ideen mit Alleinvertretungsmerkmalen füllen können oder ob sie als nur die kleinere Schwester einer konservativen Partei wahrgenommen werden. Und doch brauchen sie nicht schwarz sehen.  Was sollte ihnen denn auch passieren, wenn sie keine silbernen Löffel stehlen? Die ÖVP wird nie und nimmer die absolute Mehrheit wiedererreichen können und die Grünen werden kaum auf den Zwergenstatus absinken.

Oppositionsrollen. Vielmehr wird die Opposition gefordert sein. Ihre Zukunft hängt mindestens ebenso von diesem Projekt ab. Eigentlich müssten die Wahlergebnisse dort die meisten Veränderungen zeitigen. Da sie aber erst in fünf Jahren wieder antreten muss und nicht jetzt bei Regierungsverhandlungen, wird man sich die Veränderungen wohl bis dahin aufsparen und sich mit dem Schimpfen auf die "grundsatzlosen Grünen" begnügen. Und wenn es denn dort wirklich auch so bleibt, warum sollte sich der neue Koalitionspartner vor den nächsten Wahlen wirklich fürchten müssen? Wegen der Reibungverluste? Einzig allein wohl nur davor, dass er sich nicht von der ÖVP abheben konnte und damit auch eine mögliche gute  Arbeit der Partei des Landeshauptmannes angerechnet wird.

Von den Oppositionsparteien geht ohne deren gründliche Reform jedenfalls keine Gefahr aus. Die FPÖ wird von der Macht weitere fünf Jahre ausgeschlossen mit sich hadern und nicht mehr über ihr Antisemitismus-Ergebnis von 2004 hinauskommen. Sie hat kein zusätzliches Wählerpotential mehr und drohen liberale Teile  bei weiterer oppositioneller Verbalradikalisierung die Türen zu NEOS, Grünen und ÖVP zu nützen.

Die SPÖ wiederum ist mit ihrem Wahlergebnis "unter der Wahrnehmungsgrenze" (Anneliese Rohrer) und sie wird ganz andere Anstrengungen machen müssen um überhaupt wahrgenommen zu werden. Sonst ergeht es ihr wie den Kleinparteien. Jedenfalls wird blindwütiges Hacken auf die Grünen keine Wähler bringen und schon gar nicht junge Menschen, neue Wähler.  Sie steht vor existentiellen Problemen und gerade in der geschwächten personellen und finanziellen Situation sind Veränderungen noch schwerer. Zudem hat man sich in der Listenerstellung so beschränkt, dass man meint überhaupt keine geeigneten Leute mehr zu haben. Der Wahlkampf war auch noch so allein auf den Spitzenkandidaten zugespitzt, dass eine Reform ohne dessen Mitwirkung auch zur völligen Zerstörung geraten kann. Es wird zu allem anderen vor allem Mut und Verantwortung brauchen.

Die NEOS sind einmal damit beschäftigt sich in diesem Geschäft zurecht zu finden. Es ist denn auch nicht so leicht, denn eigenständig können sie nichts verwirklichen und nur auf eine weitere Neinsagertruppe haben die Wähler wohl kaum gewartet. Ihre Chance sind die liberalen Strömungen in der Vorarlberger Gesellschaft und da wären nun viele abzuholen. Einmal bei den Parteien, den Grünen, bei der FPÖ und noch ein paar bei den Sozialdemokraten. Dann bei Jungen, Künstlern und Wirtschaft, bei sozialen Aufsteigern.  Freilich werden sie scheitern, wenn ausgerechnet sie sich - wie im Wahlkampf geschehen - weiter in ein ideologisches Eck drängen lassen, sei es auch nur ein liberales.

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